Die Konjugation des Verbs folgt im wesentlichen der FORMENLEHRE des Hochdeutschen, so im Präsens:
ich lebe ich leäv
du lebst du leävs
er lebt heä leävt
wir leben vür leäve
ihr lebt ühr leävt
sie leben seij leäve.
Zu beobachten sind lediglich die Verkürzungen: der Wegfall des -e, -n oder -t am Wortende. Gelegentlich kehrt das -n des Infinitivs noch zurück:
Wi sou et jooeh(n)? – Wie sollte es gehen?
Ich jooeh(n) – Ich gehe
Met dön wöjj ich net jeär ze duue(n) ha(n). – Mit denen würde ich nicht gern zu tun haben wollen.
An Beispielen wie
vür / seij jöhnt (wir / sie gehen)
vür / seij hant (wir / sie haben)
lässt sich ein ursprüngliches End-„t“ finden, das im Neuhochdeutschen aufgegeben wurde.
(Das Mittelhochdeutsche unterscheidet noch: Indikativ: sie habent – Konjunktiv I: sie haben)
Sehr häufig ist das Verschleifen der Endung -s oder -t (2./3. Person Singular) mit einem vorausgehenden Konsonanten.
ich ligg, du liss, heä litt (ich liege …)
ich jevv, du jess, heä jett (neben „jövvt”) (ich gebe …)
ich drag, du dräs, heä drät (neben „dreägt”) (ich trage …)
ich sag, du säss, heä sätt (ich sage …).
Das letzte Beispiel zeigt im Gegensatz zum vorletzten eine Umlautbildung, die im Hochdeutschen fehlt (du trägst, du sagst). Ganz analog ist der Vokalwechsel etwa bei
du läufst du löüfs
er stirbt heä störvt.
Das vielgebrauchte Verb „komme ” zeigt eine merkliche Abweichung zum Nachbarn Köln:
ich komm, du köns, heä könt
(Köln: ich kummen, do küss, hä kütt).
Der Umlaut ist freilich der gleiche wie in Österreich (er kömmt).
Das Präteritum wurde schon in der Ablautreihe der starken Verben dargestellt (vgl. Kap. 4). Es sei noch einmal daran erinnert, dass der Konjunktiv II hier bevorzugt von Nebenformen abgeleitet wird:
Ich soech (sah), ich süech (sähe) jeär
ich doech (tat), ich düech (täte).
Auch hier gibt es Verschleifungen:
ich wür (wäre), du wüesch (wärst).
Merke:
Haie, wöjje, würe, sönd dreij ärrem Diere. (Hätte, würde, wäre, sind drei arme Tiere.)
Et küüent siie, datt et esue wür. – (Es könnte sein, dass es so wäre)
Ein Konjunktiv I ist so gut wie nicht vorhanden:
Jott jeseänt üch de hellije Douf! (Gott segne euch die heilige Taufe!)
Wie im Hochdeutschen gibt es keine eigenen Formen für Perfekt und Futur, wie sie der Lateinschüler lernen muss, sondern die Umschreibungen:
Ich ben jejange – Ich bin gegangen
Ich han jesiieh – Ich habe gesehen.
Plusquamperfekt:
Ich hau jesiieh – Ich hatte gesehen
Ich wor jeweäs (jeweä) – Ich war gewesen.
Es gibt Abweichungen:
Ich ben dat verjejße. (Ich habe das vergessen.)
häufig auch: Dat es mich een d’r Verjejß jeroene.
Für das Futur wird nicht „weäde”, sondern „salle” genutzt, das aber auch „sollen” heißen kann, wenngleich für diese Bedeutung eher das Präteritum verwendet wird:
Ich sall komme. (Ich werde kommen.)
Dat sall wahl siie. (Das wird/soll sicher so sein.)
Ich sou noh d’r Dokter jooeh. (Ich soll/sollte zum Arzt gehen.)
Me sou sage, du häus (haits) se net mieh all open Rejjh. (Man sollte annehmen, du seist nicht mehr ganz richtig im Kopf.)
Merkvers von Joseph Müller:
Ich han jehatt – es jarnüüs weät. (Ich habe gehabt – ist gar nichts wert.)
Ich sall han – es ouch noch schleäht. (Ich werde haben – ist auch noch schlecht.)
Ich han – et bejste steäht. (Ich habe – am besten steht.)
Umschrieben wird auch wie im Hochdeutschen das Passiv:
Et Peäd weäd jefurt (Vorgangspassiv). (Das Pferd wird gefüttert.)
De Katz es schleäht jefurt (Zustandspassiv) (Die Katze ist schlecht gefüttert).
Charakteristisch ist der Ausweg aus dem schwierigen unpersönlichen Passiv („mir wird gezeigt”) durch eine Umschreibung:
Ich krigg et jezejgt. (wörtl.: Ich kriege es gezeigt.)
Du weäds jekonkelt / du kriss se jekonkelt. (Du wirst geschlagen / wörtl.: du kriegst sie geschlagen)
Gern umschreibt der Öcher mit „duue” (fast wie im Englischen):
ich doech övverleäje – ich (tat) überlegen
So kann man sich eine Menge seltener Präteritum-Formen er- sparen.
Das Partizip II begegnete uns schon als dritte Form der unregelmäßigen Verben:
trecke, trock, jetrocke (ziehen, zog, gezogen)
und kann wie ein Adjektiv verwendet werden:
jestovvde Mönsterbeere – gedünstete Münsterbirnen
Durchaus nicht selten ist das Partizip I:
„im Gehen essen (gehend essen)”
lässt sich mit
ausdrücken, „weinend” heißt „kriischens”, gewöhnlich als „all kriischens” (weinend(erweise)). Flektierte Formen sind möglich:
e siifen Og – ein tränendes Auge
stooehens Foss (Genitiv) – stehenden Fußes
(dafür kann der Öcher aber auch französisch „stantepee” wie lateinisch „stante pede” sagen). Offensichtlich wird der Infinitiv als Partizip eingesetzt:
kraache Schong – knarrende Schuhe
d’r schloffe Thoomes – der schlafende Thomas.
Vielfältig sind Sonderformen für den Imperativ. Angeführt seien:
(siie) Bes stell! – Sei still!
Södd doch ens röühig! – Seid doch mal ruhig!
(jooeh) Jank op Sijj! – Geh zur Seite!
Jött een ene Joddesnam! – Geht in Gottes Namen!
(stooeh) Stank op! – Steht auf!
(siieh) Sich ens aa! – Sieh dir das an!
(duue) Döüch dat futt! – Tu (leg) das weg!
Dött, äls ov(t) ühr heäm würt! – Tut so, als ob ihr zu Hause wärt!
Dött heusch! – Tut (seid) leise!
(han) Hass mich jeär! – Du kannst mich gern haben!
Hatt Jedold! – Habt Geduld!
Endlich sei noch das bekannte, an das Englische gemahnende, vielgebrauchte Phänomen der „rheinischen Verlaufsform” erwähnt:
Vür sönd an et Werke. (wörtl.: Wir sind am Arbeiten.)
De Modder es an et Kouche. (wörtl.: Die Mutter ist am Kochen.)
Eigentlich handelt es sich um einen substantivierten Infinitiv (Gerundium).
Und abschließend ist festzuhalten, dass die flektierten Formen (ich ha, du siss) bei der Wortumstellung zu Kontraktionen neigen, bei denen ausgefallene End-Konsonanten wieder ans Licht kommen oder die Pronomina sich verkürzen:
(ich ha – ich habe) Han ich? – Habe ich?
(du siss – du siehst) Sissde! (Siss de) – Siehst du!
Hantver (Hant vür) dat at verzahlt? – Haben wir das schon erzählt?
Wat deä ka, dat kan-i-ouch. – Was der kann, das kann ich auch.