Gerade die nicht im Hochdeutschen existierenden Laute sind einleuchtenderweise die Hauptverantwortlichen für die besondere Klangpalette der Aachener Mundart.
Bei den Diphthongen stoßen wir nun auf ein noch reicheres Spektrum.
Zunächst ist festzuhalten, dass das Hochdeutsche nur drei Diphthonge kennt, nämlich
ei + ey / ai + ay (Ei, Mai), in Eigennamen auch „ay” (Karl May, Bayern) und „ey” (Meyer) bei stets gleicher Aussprache,
au (Haus) und
eu + äu (Heu, Gemäuer) gleichklingend.
Das letztere ist der Umlaut zu „au” und begegnet uns bei der Bildung von Plural (Haus, Häuser), Verb (laut, läuten), Substantiv (blau, Bläue) und Adjektiv (Sau, säuisch).
In vielen Fällen ist der Diphthong das Resultat der für den Schritt vom Mittelhochdeutschen zum Neuhochdeutschen (15./16. Jh.) charakteristischen sog. Diphthongierung:
nach der Merkformel wird aus
„min niuwes hus”
regelmäßig
„mein neues Haus”.
Parallel dazu verlief auch eine Monophthongierung: so wird aus
„li-ebe guote brüeder”
regelmäßig
„liebe gute Brüder”.
Aus einem ursprünglich reicheren Bestand an Diphthongen sind also mehrere hochdeutsch verloren gegangen, während uns aus dem Bayrischen noch heute beispielsweise der „Buab” wohlbekannt ist. Das Neuhochdeutsche hat auch weitere Varianten getilgt bzw. standardisiert („ich saz uf einem steine” wurde ursprünglich weit-hin „ejnem stejne” gesprochen, aus „ouch” ist „auch” geworden usw.).
Demgegenüber weist das Öcher Platt – ein wesentlicher Befund! – einen großen Reichtum an Diphthongen auf, besonders dann, wenn auch lange und kurze Form voneinander klanglich und in der Bedeutung (phonetisch und semantisch) unterschieden werden. Zu den Hauptmerkmalen gegenüber dem Hochdeutschen gehört eben, dass das Platt die Diphthongierung als modernere Sprechweise nicht mitvollzogen hat.
Es ergibt sich folgende Übersicht:
ai / ei (ich hai jeär, Eier – ich hätte gern, Eier) – Aussprache wie hochdt.
au (en au Frau – eine alte Frau) – wie hochdt.
eu (heusch – leise, gemach!) – wie hochdt.
(eij) (dreij, heij – drei, hier) „langes e und j”
(ej) / (äj) (Ej, brejche, Wejg, Wejch, zwej, Wäjsch, Mäjblomm – Ei, brechen, Weg, Woche, zwei, Wäsche, spanischer Flieder) mittellang
(ejj) (Kengerejj, Hejj – Kinderei, Heide) kurz
(ou1) (Kouh – Kuh) kurz
(ou2) (Boum – Baum) lang, in dem ein geschlossenes „o” mitschwingt
(ou3) (Louch, Knouche, jebrouche, Trouß – Loch, Kno chen, gebrochen, Tross), in dem ein offenes „o” mitschwingt.
(öü1) (Köüh, Böü – Kühe, Gebäude) kurz, oft als Umlaut zu (ou1)
(öü2) (spöüle, jlöüve – spülen, glauben) mittellang, wobei ein offenes „ö” mitschwingt.
(öü3) (Löüfer, Knöüfje – Läufer, Knöpfchen) lang, wobei in geschlossenes „ö” mitschwingt.
(öü4) (Löücher, löüsche – Löcher, ohrfeigen) lang, oft als Umlaut zu (ou3), wobei ein offenes „ö” mitschwingt.
(oue) klingt wie „Vouel” (Vogel).
(öüe) meist Plural bzw. Umlaut zu (oue) „Vöüel” oder „Vöjjel” (Vögel) (klingt wie (öjj))
Innerhalb der Diphthonge ist nun noch ein besonderes Aachener Phänomen zu beschreiben: das hinter allen Vokalen begegnende nachklingende „e”. Während man noch in Brand „Heimat” „Hemet” nennt, sagt man in Aachen „Heämet”. Dieser Sprossvokal, den Jardon nach der Weise der indogermanischen Sprachwissenschaft mit dem Sanskrit-Begriff „svarabhakti” bezeichnet (Quelle 05), ist bei ihm mit kleinem hochgestelltem „ö”, in Müllers Idiotikon (Quelle 06) mit Apostroph dargestellt worden. Hermanns/Lantin verwenden ein einfaches „e”, das jedoch bei der alphabetischen Einordnung der Stichwörter nicht berücksichtigt wird. Nur nach „e” wird der Laut durch „ä” umschrieben.
Hörbar ist er auch vor (dem deutlich gespochenen End-) „r” in „Blar” (Blätter), „wor” (war), „schwor” (schwer), „Fur” (Futter), wird in diesen Fällen aber nicht verzeichnet.
Aussprache-Hinweis (r)
Als besonders typischer Lautbestand kommen also hinzu:
ae, oe, ue (Blar, schwor, Fur – Blätter, schwer, Futter)
(eä) (eä, heä, schleäht, jeär, Weäg, Breär – ein, er, schlecht, gern, Wege, Bretter)
Aussprache (eä)
(ie1) (Nief – Neffe) kurz
(ie2) (Wietschaff – Wirtschaft) mittellang
(iie) (Wiiet, liieht, Wiieht – Wirt, leicht, Wicht) lang
(oe) (Oes, oehne – Aas, ohne) kurz
(öe) (jöev, Wöet – gäbe, Wörter) kurz
(ooe) (jooeh, Wooet, Ooehß, Ooelig, wooed – gehen, Wort, Ochse, Öl, wurde) lang
(ööe) (Tööet – Kanne) lang
(ue1) (lues, Tuen – schlau, Ton) kurz
(ue2) (Trues – Trost) mittellang
(uue) (kuuent, Tuuen – konnte, Turm) lang
(üe1) (jüev – gäbe) kurz
(üe2) (Tüenche – Tönchen) mittellang
(üüe) (küüent, Tüüenche – könnte, Türmchen) lang
Aussprache ue1, ue2, uue, üe1, üe2, üüe
An Beispielen wie Oes / Ooehß (Aas / Ochse) oder Tuen / Tuuen (Ton / Turm) ist leicht einzusehen, wie wichtig der Längenunterschied für die Bedeutung ist. Jardon notiert dezent: „Der achener mundart ist das bestreben nicht abzusprechen, die vokale zu dehnen, zu ziehen” (Quelle 07).
Wie scharf das Aachener Ohr differenziert, lässt sich am besten an konstruierten Beispielen zeigen, auch wenn solche Sätze in der Praxis nicht so oft vorkommen mögen, wie die Verbindung
„eä Ej än en anger Ej een ene Haverbreij” – „ein Ei und ein anderes Ei in einem Haferbrei”.
So wird aus
„Er hätte hier gern eine Heide”: „Heä hai heij jeär en Hejj”.
„Diese Woche brauche ich weiche Wäsche, denn mir steht eine Wiege im Wege”
wird im Öcher Platt zu:
„Des Wejch bruuch ich weäche Wäjsch, vaweäje en Wech steäht mich ejjene Wejg”.
Über die hier zutage tretenden Unterschiede von „g”, „ch” und „sch” wird bei den Konsonanten zu reden sein.